Kurfürstentag in Regensburg 1630

 

Im Juni legten die kaiserlichen Schiffe in Wien ab und fuhren donauaufwärts nach Regensburg zum Kurfürstentag.

   Fast über Nacht war der Sommer gekommen, er legte das Land lahm mit sengender Hitze. Die Schiffe glitten auf dem Strom dahin, rechts und links vorbei an den grünen Ufern des Donautales, vorbei an Klöstern und Burgen und Städten, die in ihrer Pracht leuchteten.

   Doch die Schiffe waren schwarz geteert und zogen dunkel und drohend durch die sie umgebende gleißende Helle des Sommers. An jedem Bug stand ein Kreuz aus silberglänzenden Balken, in denen sich die Sonne spiegelte. Schwarz gestrichen zeigten sich auch Masten, Tauwerk und Rahen. Sie vollendeten den unheimlichen Eindruck. Nur die blähenden Segel hoben sich wohltuend von der Unheimlichkeit ab, weil auf ihnen die Jungfrau Maria mit dem Knaben im Arm in Blau und Rot gemalt war, umgeben von goldenen Sternen.

   Die Donau hinauf fuhren zehn Schiffe, sie fuhren zum Kurfürstentag nach Regensburg. Der Kaiser und die Kaiserin wohnten im ersten, in den anderen waren die Räte untergebracht, vor allem auch Bedienstete, die für das leibliche Wohl des Kaiserpaares sorgten, und Soldaten der Leibwache. Es war früher Morgen. Aus den Kabinen des ersten Schiffes trat der Kaiser an Deck, ein schwarzgekleideter, schmalschultriger Mann, dem wohl der Krieg anzulasten war, der Krieg, der dreißig Jahre dauern sollte. Er strebte mit kleinen Schritten zum Heck, das einen hohen Aufbau auswies, der als Kapelle diente. Weihrauchduft umgab ihn, als er die Kapelle betrat, deren Wände schwarz getäfelt waren, nur im Hintergrund prangte ein elfenbeinernes Kruzifix, das mit goldenen Nägeln auf dem schwarzen Holz befestigt war. Rote Ampeln verbreiteten einen flackernden, unruhigen Schein zu beiden Seiten des Kreuzes.

   Ferdinand, der Kaiser, nahm den spitzen Samthut vom Kopf, verneigte sich vor dem Kruzifix, kniete nieder und bekreuzigte sich. Dann begann er zu beten, zuerst ruhig und gefasst, als aber der Weihrauch stärker und stärker den Raum ausfüllte, geriet der hagere Körper in eine tranceartige Bewegung, und er bat Gott, er möge ihn stark sein lassen über die Unbill in der Welt, ihn – dessen Haus der alleinseligmachenden Kirche über Jahr-hunderte hinweg treu gedient habe.

   „Ich verstehe nicht, warum du die Ketzerei zuließest, Gott, verderbe sie, lass’ sie nicht weiterwachsen“, rief er betend aus. „Schütze mich und mein Haus, Allmächtiger, schütze all’ meine Heere, die doch auch die deinigen sind. Segne unsere Unternehmungen, Gott, lass’ das Sinnen und Trach- ten meines Feldherrn Wallenstein zu deiner Ehre gereichen und schütze alle meine Freunde und Getreuen. Aber vernichte unsere Feinde, den mit Blindheit geschlagenen schwedischen König; seine Schiffe sollen an den Küsten zerschellen, damit alle Welt sieht, du bist zornig über den ketzerischen König. Amen!“

   Er erhob sich aus seiner knienden Haltung und verließ die weihrauchumnebelte Kapelle, schritt durch die Tür, trat auf das weißgescheuerte Deck und schloss – geblendet durch die strahlende Morgensonne – die Augen. Bedächtig setzte er seinen Spitzhut auf.

   Ferdinand sah mit seinen fünfzig Jahren noch jung aus, obwohl sein dunkel gelocktes Haar an den Schläfen zu ergrauen begann. Ein schwarzer Bart umgab das blasse Gesicht, den hageren Körper bedeckte schwarzer Samt, nur spärlicher Silberbrokat quoll aus den Ärmelschlitzen hervor.

   Bei seiner Wanderung über das Deck sah er kaum auf, in Gedanken versunken schritt er an den schwarzen gedrechselten Säulen entlang. Ein Schatten fiel auf seinen Weg, die Kaiserin Eleonore, seine Gemahlin, stand vor ihm. Vor einigen Wochen erst war die zwanzigjährige Prinzessin aus Mantua mit ihm vermählt worden. Sie war eine Schönheit, die das blasse Gesicht Ferdinands erröten ließ.

   Trotzdem verlief die Begrüßung steif und unpersönlich. Er legte nur zwei Finger an den Spitzhut und meinte abweisend: „Warum musste ich die Kaiserin bei der Morgenandacht vermissen? Kaiser und Kaiserin sollten ihre Bitten gemeinsam vortragen, das bewirkt mehr, als wenn die Bitte nur von einem Herzen kommt.“

   Bedrückt und niedergeschlagen sagte sie fast demutsvoll: „Ich kann nicht neben dem Kaiser beten, wenn er in seinem Gebet Mantuas Vernichtung erbittet; denn die Stadt ist die Stätte meiner glücklichen Kindheit und Jugend. Die Erinnerungen an meine Freundinnen, an meine erste Beichte in der Kathedrale, an das gewaltige Rauschen der Orgel, wie könnte ich um die Vernichtung dieser Stätten beten? Das kann der Kaiser doch nicht wollen!"